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©Courtesy of the artists
The Neighbors: “Nachbarn können sowohl diejenigen sein, die in Lagern und Gefängnissen gelitten haben, als auch diejenigen, die die Gewalt ausgeübt haben.“
Die 60. internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia läuft unter dem Motto "Foreigners Everywhere - Stranieri Ovunque". Diese Ausgabe will sich mit Themen wie Migration, Exil, Außenseiter" und Fremdheit befassen. Der Ausdruck "Stranieri Ovunque" - erklärt der Kurator der Biennale Adriano Pedrosa - habe mehrere Bedeutungen. Erstens, dass man, egal wo man hingeht und wo man ist, immer auf Ausländer trifft - sie/wir sind überall. Zweitens, dass man, ganz gleich, wo man sich befindet, immer wirklich und tief im Inneren ein Fremder ist.
Ein aktuelles Thema und auch brisant in einer Zeit, die zunehmend schwarz und weiss ist und in der streng gut von böse getrennt wird. Man beginnt, seine Nachbarn zu beäugen…Der bulgarische Pavillon erforscht genau dies. Die zum Schweigen gebrachten Erinnerungen von Überlebenden staatlicher Gewalt in Bulgarien zwischen 1945 und 1989 in einer Multimedia-Installation mit dem Titel The Neighbours. Das The Neighbors Kollektiv fasst für uns im exklusiven Interview zusammen: „Everybody has a neighbor, everybody is a neighbor, everybody can be a neighbor.“ Das Kollektiv skizziert die Geschichten der bulgarischen "Inlandsausländer oder "Ausländer im Innern"- derjenigen, die mit dem damaligen politischen System des Staatssozialismus nicht einverstanden waren, die sich deshalb außerhalb des öffentlichen und sozialen Lebens befanden, die selbst für ihre Familie und Freunde "Ausländer" blieben.
An der von Vasil Vladimirov kuratierten Installation, sind die Künstler Krasimira Butseva, Lilia Topouzova und Julian Chehirian beteiligt. Mit Hilfe von Fundstücken, Video und Ton werden die Geschichten von Menschen erzählt, die in Zwangsarbeitslagern und Gefängnissen verfolgt wurden. Das Projekt basiert auf wissenschaftlichen Recherchen und Interviews, die von den Künstlern geführt wurden.
The Neighbors wird in der Sala Tiziano im Centro Culturale Don Orione Artigianelli in der Nähe der Ponte dell'Accademia ausgestellt. Eine erste Besichtigung ist am Freitag, den 19. April, von 17 bis 19 Uhr geplant.
16. März 2024
IN FOCUS/ART
Name: Vasil Vladimirov, curator
Name: Krasimira Butseva, Lilia Topouzova, Julian Chehirian, artists
Current project: "The Neighbors", 60th international art exhibition La Biennale di Venezia
"Jeder hat einen Nachbarn, jeder ist ein Nachbar, jeder kann ein Nachbar sein".
Was verbirgt sich hinter dem Titel der Ausstellung The Neighbours - worauf bezieht er sich?
Jeder hat einen Nachbarn, jeder ist ein Nachbar, jeder kann ein Nachbar sein. Indem wir unsere Ausstellung The Neighbours nennen, nähern wir uns dem Trauma der Vergangenheit als einer gemeinsamen und kollektiven Geschichte. Nachbarn können sowohl diejenigen sein, die in Lagern und Gefängnissen litten, als auch diejenigen, die die Gewalt ausübten. Ein Nachbar zu sein, einen Nachbarn zu haben, seine Nachbarn zu sehen, ihnen aus dem Weg zu gehen, die Augen vor dem zu verschließen, was ihnen widerfährt, oder ihnen zuhören zu wollen, an ihre Tür zu klopfen und zu fragen, ob es ihnen gut geht, ob sie etwas brauchen: Das sind die verbindenden Fäden unserer Ausstellung, aber auch von gemeinsamen gelebten Erfahrungen, die über unser Projekt hinausgehen.
The Neighbours fügt sich in den thematischen Rahmen der 60. Kunstbiennale von Venedig ein und erklärt "Stranieri Ovunque - Foreigners Everywhere", wie der Kurator Adriano Pedrosa die Geschichten der bulgarischen "Inlandsausländer oder "Ausländer im Innern" skizziert - derjenigen, die mit dem damaligen politischen System (Staatssozialismus 1945-1989) nicht einverstanden waren, die sich außerhalb des öffentlichen und sozialen Lebens befanden, die selbst für ihre Familie und Freunde "Ausländer" blieben. Das bulgarische Projekt dient als Ort der Reflexion über die Erfahrungen politischer Unterdrückung in unserer jüngsten Vergangenheit und der kritischen Untersuchung ihrer anhaltenden Auswirkungen in der Gegenwart, wobei die wichtige Rolle der Kunst bei der Auseinandersetzung mit den komplexen Realitäten unserer Welt hervorgehoben wird.
"Ein Löffel, ein geschmuggelter Brief, ein selbstverlegtes Buch, die Seiten einer deklassierten Geheimpolizeiakte."
Können Sie dem Leser die Hintergründe der einzelnen Begegnungen mit den Betroffenen beschreiben? An welche erinnern Sie sich besonders?
Anstatt einzelne Begegnungen zu beschreiben, möchten wir auf das kollektive Ethos der Forschung eingehen, das den theoretischen Rahmen der Ausstellung bildet. The Neighbours beginnt in den Wohnungen der Überlebenden. Hier fanden unsere Begegnungen mit ihnen statt und hier haben wir im Laufe von zwei Jahrzehnten unsere Interviews geführt. Alle Befragten betrachteten die Unterdrückung als eine andauernde Erfahrung, die ihre Entlassung aus einem Lager oder einem Gefängnis überdauerte. Das Trauma der erzwungenen Gefangenschaft blieb bis zuletzt im Zentrum ihres Lebens. Als wir mit den Überlebenden in ihren Wohnungen zusammensaßen und ihren Worten lauschten, stellten wir fest, dass ihre häuslichen Räume zu Orten der Erinnerung geworden waren. Die Plastiktischdecke auf dem Küchentisch, ein paar Süßigkeiten und Getränke, vielleicht Brotstangen, manchmal Wein und Zigaretten, und immer ein starker Kaffee. Das Radio oder der Fernseher, der im Hintergrund summt, die Fotos in den Vitrinen, die Stühle und Sofas, die mit bunten Stoffen geschmückt sind, der Kalender, der an der Wand hängt. Neben diesen Zeichen der Zeit und der Häuslichkeit standen die weniger offensichtlichen - Artefakte aus der Lager- und Gefängnisvergangenheit. Einige wurden zu unserem Nutzen ausgestellt, andere waren dauerhaft zu sehen: ein Löffel, ein geschmuggelter Brief, ein selbstverlegtes Buch, die Seiten einer freigegebenen Geheimpolizeiakte. Hier, in diesen privaten Mauern, ruhen und verwelken die Symbole der Unterdrückung. Aber in diesen Mauern wurden wir auch Zeuge der verschiedenen Formen der Unterdrückung. Die Überlebenden haben versucht, sich zu positionieren und ihre Erinnerungen zu inszenieren, da es keine umfassenden Bemühungen gibt, ihre Erfahrungen in der bulgarischen Öffentlichkeit zu thematisieren.
Wir haben ihre Erzählungen in drei Kategorien eingeteilt, die drei Arten der Erinnerung an die Lager- und Gefängniserfahrungen darstellen. 1) Berichte von Personen, die bereits öffentlich gesprochen hatten: Sie beherrschten ihre Erzählung und betrachteten das Interview als eine professionelle Verpflichtung. 2) Erstmalige Aussagen von Überlebenden, die noch nie öffentlich über ihre Erfahrungen berichtet haben. Die Gründe für ihr Schweigen waren unterschiedlich: Bei einigen war es Angst, eine Angst, die unsere Gespräche beherrschte. Andere hatten keine offensichtlichen Motive; es war, als ob sie einfach nie zum Sprechen aufgefordert worden waren. 3) Die wortlosen Klagen von Menschen, die zu Protokoll geben wollten, aber nicht sprechen konnten: diejenigen, die umgekommen sind, diejenigen, deren Erinnerungen verloren gegangen sind, die Details ihrer Erfahrungen für immer zum Schweigen gebracht haben, die aber trotzdem ihre Geschichten beitragen wollten.
Die drei Räume von The Neighbours - ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche - stellen verschiedene Teile der Häuser der Überlebenden nach und verkörpern die drei Arten des Erinnerns.
Das Wohnzimmer
Das Wohnzimmer ist in der Regel ein Raum, in dem man Gäste empfängt, ein Raum für angeregte Gespräche und gemeinsame Aktivitäten: Hier haben wir die umfangreichsten Audio-Erzählungen traumatischer Erinnerungen platziert. In diesem Raum hören wir Überlebende der ersten Kategorie: diejenigen, die ihre Erlebnisse öffentlich geschildert haben - gegenüber ihren Familien, in eigenen und fremden Büchern, in Dokumentarfilmen, für journalistische Berichte, bei Gedenkveranstaltungen an den Stätten der ehemaligen Lager.
Schlafraum
Das Schlafzimmer ist ein persönlicher Raum, der von der Familie oder dem Einzelnen bewohnt wird, ein Ort, an dem Menschen ihre intimen Dinge aufbewahren und leise private Gedanken austauschen. Es ist ein ruhiger Raum. In diesem Raum hören wir zum ersten Mal die Aussagen von Überlebenden, die noch nie öffentlich über ihre Erfahrungen gesprochen haben. In unseren Interviews erinnern sie sich an ihr Trauma - oft begleitet von einem Strom von Details, wenn sie es zum ersten Mal wieder erleben. Ihr bisheriges Schweigen war sowohl ein Zufall als auch eine Entscheidung - entweder um sich selbst zu schützen, als Reflex des Regimes selbst, oder um ihre Angehörigen zu schützen.
Küche
Obwohl die Küche ein Raum ist, der kollektive Erfahrungen vermitteln kann, ist sie auch ein Raum, in dem der Hausbesitzer mit seinen Gedanken allein bleibt. Es kann ein Raum der Stille sein. In diesem Raum haben wir Fragmente von Tonaufnahmen von Menschen platziert, die auf die Platte kommen wollten, aber nicht sprechen konnten. Hier sind die Stimmen der Überlebenden verschwunden und durch Geräusche der Anwesenheit und nonverbale Ausschnitte ersetzt worden. Die Erinnerung an das Lager ist eine gegenwärtige Abwesenheit.
Warum, glauben Sie, hat die bulgarische Regierung gerade Ihr Projekt unterstützt?
Wir können die Entscheidung der bulgarischen Regierung, unser Projekt zu unterstützen, nicht kommentieren. Wir begrüßen die Gelegenheit, mit dem Kulturministerium bei der Realisierung unserer Ausstellung sinnvoll zusammenzuarbeiten.
"Wir hoffen, dass unser Projekt ein breiteres Nachdenken über die Auswirkungen autoritärer Politik in Vergangenheit und Gegenwart auf Gemeinschaften, Individuen, Geschichten und Erinnerungen anregt - und über die Möglichkeiten der Kunst, sozialen Wandel zu bewirken."
Welche Bedeutung hat Ihr Projekt Ihrer Meinung nach, gerade in der heutigen Zeit?
Wir glauben, dass ein Projekt wie das unsere zu jeder Zeit von Bedeutung ist, weil es die gelebte Erfahrung von Überlebenden in den Mittelpunkt stellt, die nicht vergessen können und nicht bereit sind, ihre Erfahrungen dem historischen Vergessen zu überlassen. Wir hoffen, dass unser Projekt zu einer breiteren Reflexion über die Auswirkungen autoritärer Politik in Vergangenheit und Gegenwart auf Gemeinschaften, Individuen, Geschichten und Erinnerungen anregt - und über die Möglichkeiten der Kunst, einen sozialen Wandel zu bewirken.
Wie fühlen Sie sich jetzt?
Erfreut, überwältigt, aufgeregt, erschrocken, dankbar, aber vor allem verpflichtet, die Integrität unseres Projekts zu wahren und Bulgarien auf der 60. Biennale di Venezia zu vertreten.
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