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Dr. Susanne Rockweiler: Unser Ziel ist es, die Suchtpräventionsarbeit zu ergaenzen und inmitten der Gesellschaft zu platzieren

Faina Yunusova #SugarMacht, 2021 Raum-/Mixmedia-Installation
© Faina Yunusova, Installationsansicht, Frankfurter Kunstverein, Foto: Norbert Miguletz 


Dr. Susanne Rockweiler: "Unser Ziel ist es, die Suchtpräventionsarbeit zu ergänzen und inmitten der Gesellschaft zu platzieren."

Neues Projekt der außergewöhnlichen Stiftung Welt der Versuchungen mit Sitz in Erfurt. Ziel der 2021 gegründeten Stiftung, deren Ansatz europaweit einzigartig ist, wird es sein, die Suchtpräventionsarbeit zu ergänzen und auch mit künstlerischen Ansätzen in die Mitte der Gesellschaft zu stellen. Zu diesem Zweck betreibt die Stiftung ein Ausstellungszentrum in Erfurt, in dem sie die Gesundheitsförderung, insbesondere die Suchtprävention, mit der Kunst verbinden will.


Mit ihrer zweiten Ausstellung will die Stiftung das Alltagsphänomen Social Media thematisieren. Bekanntlich boomen Social-Media-Apps seit den 2000er Jahren und durchdringen die Menschen beruflich und privat. Doch was passiert, wenn daraus eine „Sucht“ wird?


Social Media, so Chefkuratorin Dr. Susanne Rockweiler, bietet natürlich Chancen, verlangt den Menschen aber auch psychisch, physisch und in Bezug auf die Persönlichkeitsrechte sehr viel ab. In ihrer neuen Ausstellung geht es darum, anhand von fünfzehn künstlerischen Arbeiten von 12 renommierten Künstlern die Geschichten dieser Chancen und Risiken aufzuzeigen und eine Gesamterzählung anzubieten. Dabei spielt auch die mobile Installation ALL TOGETHER NOW des bekannten deutschen Künstlers Volker März eine wichtige Rolle. Seine Skulptur verweist auf den Menschen als soziales Wesen und sein Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. 


Mit ihrem neuen Erfurter Ausstellungszentrum will die Stiftung möglichst viele Menschen ansprechen, sie in ihren unterschiedlichen Lebenswelten erreichen und sie mit Musik, bildender Kunst oder kraftvollen Installationen abholen und zur Reflexion einladen. Mediensucht und achtsame Mediennutzung seien auch für den Kooperationspartner der Stiftung, den Beauftragten der Bundesregierung für Sucht und Drogen, Burkhard Blienert, ein wichtiges Anliegen, so Dr. Rockweiler. Thüringen ist übrigens Vorreiter auf diesem Gebiet, denn seit diesem Schuljahr steht das Thema Medienkompetenz in Thüringen auf dem Lehrplan.  

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11. September 2024

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Interview Directory 

ART

Name: Dr. Susanne Rockweiler

Beruf: Cultural Manager, Kuratorin

"Egal wo und immer: jetzt. Sie bieten uns Chancen und verlangt von uns gleichzeitig mental, körperlich und persönlichkeitsrechtlich viel ab."


Wie kann es gelingen, ein so interessantes und wichtiges Thema in eine Ausstellung zu überführen?


Die Ausstellung „BE.LIKE.ME. Social Media und ich“ rückt das Alltagsphänomen der Social Media in den Mittelpunkt. Apps wie Facebook und X, Instagram und BeReal, Youtube, Snapchat und TikTok durchdringen uns im Smartphone-Zeitalter individuell und gesellschaftlich, beruflich und privat. Egal wo und immer: jetzt. Sie bieten uns Chancen und verlangt von uns gleichzeitig mental, körperlich und persönlichkeitsrechtlich viel ab. In der Ausstellung erzählen wir Geschichten von diesen Chancen und Risiken anhand von fünfzehn künstlerischen Arbeiten von 12 national und international viel beachteten Künstler:innen. Jedes Werk fokussiert sich auf wesentliche Eckpunkte der Sozialen Medien. Gemeinsam ergeben sie ein Bild oder eine Gesamterzählung. Die Ausstellung eröffnet mit der raumgreifenden Mobile-Installation ALL TOGETHER NOW von Volker März mit Figuren – alle en miniature und aus Ton –, die ein soziales Gefüge in Balance bilden und auf uns Menschen als soziale Wesen mit einem Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit verweisen. An dieses Grundbedürfnis docken die Sozialen Netzwerke an, die den gesellschaftlichen Austausch vom Analogen ins Digitale verschieben. 


"Bis das Haus fertiggestellt ist, zeigen wir jährlich eine Ausstellung, um zu lernen und um Rückschlüsse auf die Gesamtkonzeption des Hauses zu ziehen."


Was sind die Ziele der Stiftung „Welt der Versuchungen“?


Unser Ziel ist es, die Suchtpräventionsarbeit zu ergänzen und inmitten der Gesellschaft zu platzieren. Denn Abhängigkeit ist Spiegel der Gesellschaft und geht uns alle etwas an. Dazu wurde im Jahr 2021 die gemeinnützige Stiftung Welt der Versuchungen gegründet. Sie ist Initiatorin eines neuen Ausstellungshauses. Unser Konzept ist es, Gesundheitsförderung, insbesondere Suchtprävention, und die Künste miteinander zu verbinden und dabei mit Forschenden zusammenzuarbeiten aus unterschiedlichen Disziplinen wie Medizin und Neurowissenschaft, Sucht- und Verhaltenssuchtforschung sowie Sozialwissenschaft und Psychologie. Dieser Ansatz ist neu und gibt es bisher europaweit nicht. Bis das Haus fertiggestellt ist, zeigen wir jährlich eine Ausstellung, um zu lernen und um Rückschlüsse auf die Gesamtkonzeption des Hauses zu ziehen. 


"Vielen Besucher:innen stockt dabei der Atem, wie gläsern wir sind, und wie unbedarft wir mit unserem Smartphone umgehen."


Wo sind die Schnittstellen von Kunst, Wissenschaft, und Technologie bei dem Thema?


Für die aktuelle Ausstellung „BE.LIKE.ME. Social Media und ich“ haben wir mit dem ZKM, Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, kooperiert. Es wurde 1989 gegründet, um die klassischen Künste ins digitale Zeitalter fortzuschreiben. Wir zeigen zwei Arbeiten, die von Peter Weibel, Bernd Lintermann und Florian Hertweck entwickelt wurden, und digitale Mechanismen, die Basis von Smartphone und Sozialen Netzwerken sind, zum Thema haben. Die Umsetzung ist kritisch, ästhetisch und auch sinnlich erfahrbar. 


In TRUSTAI geht es um unser Urvertrauen. Besucher:innen treten in ein Gespräch mit einem sympathischen Avatar. Dabei sammelt ein normales, käufliches Smartphone, das Teil der Installation ist, Daten im Hintergrund von uns. Im Gesprächsverlauf deckt dies der Avatar auf. Vielen Besucher:innen stockt dabei der Atem, wie gläsern wir sind, und wie unbedarft wir mit unserem Smartphone umgehen. 


Die zweite Arbeit verbildlicht den Algorithmus. YOU:R:CODE und ist eine interaktive Multimediainstallation. Anhand dieses Werks wird schrittweise augenscheinlich, wie der Mensch vom analogen Spiegelbild durch Rechner und Kamera als digitaler Datenkörper lesbar und quantifizierbar ist. Damit wird das System von Algorithmen verständlich. Denn Instagram, TikTok und Co. registrieren Verweildauer, Inhalte und Kommentare. Sie codieren und speichern sie und bieten uns ähnlichen Content an. Dadurch halten uns Unternehmen möglichst lange auf ihren Plattformen und verdienen damit viel Geld. 

"Die Arbeiten macht auf die Omnipräsenz digitaler Endgeräte aufmerksam, die jederzeit greifbar sind. Der (meist auch reflexhafte) Konsum, aktiv wie passiv, hat Auswirkungen auf unser soziales Miteinander im Familienleben wie im gesellschaftlichen Miteinander."


Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler ausgesucht?


Wir haben nach Werken von Künstler:innen gesucht, die das Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken der Sozialen Netzwerke aufzeigen und Menschen ins Gespräch bringen mit sich und mit anderen. Ein gutes Beispiel ist die fotografische Werkserie FAMILY PORTRAITS von Maria Mavropoulou. Wir zeigen daraus drei Fotografien mit Alltagssituationen, die wir alle kennen: ein Abendessen zum Geburtstag, einen Sonntagnachmittag im Bett und einen Abend mit Freund:innen im Wohnzimmer. Alle Situationen sind in unserer Vorstellung mit einem sozialen Miteinander verbunden. Auf den Fotografien sind keine Menschen zu sehen, sondern nur die Evidenz von ihnen durch aufleuchtende Bildschirme von Smartphones, Tablets, Notebooks, Smartwatches und -TVs: im Bett, auf dem Tisch, der Konsole, dem Sofa und weiteren Plätzen des familiären Miteinanders. 


Die Arbeiten macht auf die Omnipräsenz digitaler Endgeräte aufmerksam, die jederzeit greifbar sind. Der (meist auch reflexhafte) Konsum, aktiv wie passiv, hat Auswirkungen auf unser soziales Miteinander im Familienleben wie im gesellschaftlichen Miteinander. Ist der exzessive Gebrauch bereits gesellschaftlich normalisiert – anders als bei vielen substanzgebundenen Abhängigkeiten? Wem widmen wir welche Aufmerksamkeit? Sind wir dadurch gemeinsam einsam? 

 

Beeindruckend ist auch, dass der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht und Drogenfragen zu Wort kommt.


Der Deutsche Bundestag hat rund 20 Millionen EUR für unser Vorhaben zur Verfügung gestellt. Nur dadurch kann das Ausstellungshaus realisiert werden. Als Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung setzt sich Herr Blienert beispielsweise auch dafür ein, dass Mediennutzung beherrschbar bleibt und dass Kinder und Jugendliche wirkungsvoll geschützt werden. Medienabhängigkeit und achtsame Mediennutzung sind ihm wichtige Anliegen. 


Thüringen ist hier übrigens Vorreiter. Das Fach Medienkompetenz ist seit diesem Schuljahr Bestandteil des Stundenplans. Und die Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner setzt verstärkt auf Präventionsarbeit. Die Gesundheitsministerien von Bund und Land fördern die Stiftung, nicht zuletzt, weil es immer wieder Schnittmengen zwischen klassischen Suchtmitteln und Verhaltenssüchten wie Mediensucht gibt. Deshalb stehen wir mit Herrn Blienert und beiden Ministerien in engem Kontakt. Zusammen helfen wir, dem Thema Sucht allgemein, und dem Thema Social Media im Speziellen, die notwendige Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft zu verschaffen. 


Wir hören wenig aus Thüringen, nur, dass es dort viele AFD-Wähler gibt. Dies ist ein interessanter anderer Impuls. Was sind Ihre Gefühle angesichts der Landtagswahlen in Thüringen. Ganz Deutschland schaut auf Sie.


Leider ist Thüringen über die Landesgrenzen derzeit vor allem deshalb im Fokus der Öffentlichkeit. Das verzerrt das Bild des Bundeslandes. Was viele vergessen: 70 Prozent der Bürger:innen wählen keine AfD. Sie sorgen für ein buntes, Tradition und Moderne verbindendes, kulturell reiches Miteinander. Ich kann nur jede:n einladen, nach Thüringen zu kommen und sich auf die Spuren des Bauhauses, der Ernestiner oder Luthers zu begeben, neben den Klassikern Schiller und Goethe. Alle, die ich kenne und zum ersten Mal hier sind, staunen, wie schön es hier ist, gerade auch in Erfurt. Wir tragen mit unserer Arbeit zu dieser Vielfalt bei. Medien und Öffentlichkeit schauen auf den 1. September. Viele Gespräche in der Familie, im Freundeskreis, mit den Kolleg:innen drehen sich darum, wie die Zukunft aussehen wird. Und natürlich sind wir nervös. Aber die Hoffnung, auch zukünftig in einem Land mit einer Regierung, die demokratische Werte vertritt, zu leben, geben wir zusammen mit vielen Menschen nicht auf.


Was planen Sie bei der Kampagne #thueringenweltoffen?


Die Aktion setzt wichtige Impulse und Signale für die Vielfalt Thüringens. Wir bringen uns ein, sind auf Demonstrationen und Mitglied beim Weltoffenen Thüringen. Wir und Viele stehen für die Werte und für ein weltoffenes und vielfältiges Thüringen, die Achtung der Menschenwürde und der unteilbaren Menschenrechte, eine plurale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ein Land, in dem Menschen in ihrer Verschiedenheit akzeptiert und willkommen sind, ein friedlicher und respektvoller Umgang miteinander, die Idee des geeinigten Europas. Vorurteile, Ausgrenzung und Hass haben bei uns und in einem weltoffenen und vielfältigen Thüringen keinen Platz. 


Das ist auch Thema, das stark unsere Ausstellung zu den Social Media flankiert – man muss nur den Erfolg der AfD auf TikTok betrachten. Im Ausstellungskatalog haben wir dazu Texte der Bildungsstätte Anne Frank und der jungen Autorin Jenifer Becker. In unseren dialogischen Führungen und im Vermitttlungsprogramm gehen wir auf Apps wie Instagram und TikTok ein, thematisieren unter anderem Cybermobbing und Echokammern und wie es sein kann, dass uns krude Inhalte erreichen. Deshalb erläutern wir auch den Algorithmus, das Sammeln von Daten im Hintergrund und Verhaltensmechanismen, die sich die sozialen Plattformen zu eigen machen. Wir zeigen ebenso Auswege auf. Mit unserem Kulturpartner, dem MDR, planen wir eine gemeinsame Podiumsdiskussion zu den gesellschaftlichen Herausforderungen der Social Media und ihren gesamtgesellschaftlichen Einfluss. Dabei wird das auch Thema sein.

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Bernd Lintermann, Florian Hertweck TRUSTAI, 2020
Computerbasierte Installation mit Interface mit 3D Monitor/iPhone/PC/Sound in Möbelstück mit Hocker © Bernd Lintermann, Florian Hertweck, ZKM I Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe

Key Visual, BE.LIKE.ME. Social Media und ich – Created with Midjourney by Naroska, 2024

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