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Prof. Michael Saller: "Eine Lüge ist oft sehr, sehr schwer zu entlarven, wenn man nicht tiefer geht.“
Niemand wird gerne belogen. Wie kann man eigentlich erkennen, dass man das Opfer von Lügen ist? Es gibt unzählige Studien und Experten darüber, wie man Lügner erkennen und sich vor ihnen schützen kann. Jetzt ist ein brandneues Buch erschienen - analytisch, strukturiert und klar verständlich, wie es nur ein Jurist schreiben kann.
Der Oxford Jurist Michael Saller hat als Ermittler beim deutschen Bundeskartellamt und bei der OECD in Paris gearbeitet und ist heute Professor für Wirtschaftsrecht. Über seine Studien zu den Verhörmethoden von Profis hat er nun ein Buch geschrieben. Es soll auch dabei helfen, effektiver zu kommunizieren und zu verhandeln. Das Buch ist auch eine Fundgrube für Juristen. Zu den aktuellen Rechtsfällen gehören der Fall des Signa-Imperiums des Investors René Benko, aber auch der Fall Kachelmann, der vor alle Frauen bewegte.
Unzählige Glaubwürdigkeitskriterien werden aufgelistet und Elemente der Körpersprache von Lügnern vorgestellt. Es wird diskutiert, ob wir tatsächlich aus Pokerspielen lernen können und ob Lügendetektoren zuverlässige Ergebnisse liefern.
Saller zitiert aber auch Alfred Hitchcock. Der Beweis für das perfekte Verbrechen ist, dass man es nie herausfindet.
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16 März 2025
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AM: Herr Prof Saller, wie kam es dazu, dass Sie sich beruflich auf diesen Bereich spezialisiert haben?
S: Ich habe als Rechtanwalt angefangen und dann mehrere Jahre als Ermittler beim Bundeskartellamt gearbeitet. Dort habe ich in großen wirtschaftskriminellen Fällen wie Ausschreibungs- und Preisabsprachenkartellen ermittelt. Zu diesen Ermittlungen in Kartellverfahren gehört auch die Befragung von möglichen Tätern und vielen Zeugen. Außerdem habe ich verschiedene Lehrgänge absolviert, unter anderem an den Polizeischulen in Neuss und Hessen. Dann bin ich zur OECD nach Paris gewechselt und habe festgestellt, dass man viele der Verhörtechniken auch in normalen Gesprächen anwenden kann.
Seit 2020 bin ich Professor und unterrichte unter anderem auch Vertragsgestaltung. Bevor man Verträge aufsetzen kann, muss man sie erst einmal verhandeln, und ein wichtiger Teil der Verhandlungsführung ist das Sammeln von Informationen.
AM: Trotz aller wissenschaftlichen Verhörtechniken können Fehler passieren. Wie gehen Sie mit der Verantwortung um, wenn jemand zu Unrecht verurteilt worden ist?
S: Auch wenn ich damals als Ermittler tätig war, gab es dennoch eine gerichtliche Überprüfung über zwei Instanzen. Und schließlich gab es ein Verfahren in dubio pro reo. Es gibt sicherlich falsche Verurteilungen, oft aufgrund von falschen Geständnissen, allerdings nicht bei meinen Fällen.
"Lügen bleiben oft in einer gewissen Grauzone."
AM: Ist Ihnen im Nachhinein klar, dass Sie auch einmal einen Beurteilungsfehler gemacht haben?
S: Hin und wieder habe ich Leuten geglaubt, weil ich sie für absolut glaubwürdig hielt. Später hat sich herausgestellt, dass diese Leute gelogen haben. Es gibt nur begrenzte Möglichkeiten, Lügen zu erkennen. Lügen bleiben oft in einer gewissen Grauzone.
"Eine Lüge ist oft sehr, sehr schwer zu entlarven, wenn man nicht tiefer geht."
AM: Haben Sie jemals den perfekten Lügner getroffen?
S: Alfred Hitchcock hat einmal gesagt, der Beweis für das perfekte Verbrechen ist, dass man es nie herausfindet. Es gibt Leute, die sehr, sehr gut lügen, aber man bekommt andere Beweise und kann dann beweisen, dass diese Person gelogen hat.
Es hängt auch davon ab, wie viel Zeit man mit dieser Person verbracht hat und wie genau man die ganze Sache untersuchen kann. Eine Lüge ist oft sehr, sehr schwer zu entlarven, wenn man nicht tiefer geht.
AM: Woran erkennen Sie, dass jemand lügt?
S: Es gibt viele Glaubwürdigkeitskriterien. Zum Beispiel, wenn die Aussage über einen längeren Zeitraum hinweg konsistent erzählt werden kann oder wenn Detailfragen zu weniger wichtigen Details beantwortet werden können. Wenn jemand keines dieser Glaubwürdigkeitskriterien erfüllt, dann ist das ein Warnzeichen. Es gibt aber auch Menschen, die Geschichten ohne Details erzählen, weil sie ein schlechtes Gedächtnis haben. Das ist nicht unbedingt eine Lüge, aber ein Warnzeichen.
Es ist verdächtig, wenn Menschen Fakten behaupten, die nicht überprüft werden können. Lügner tun das sehr gerne, weil man das Ganze nicht überprüfen kann.
"Der Lügendetektor kann aber auch manipuliert werden. Indem man Kopfrechnen betreibt, indem man in der Zwischenzeit an etwas anderes denkt."
AM: Welche Elemente der Körpersprache sind verdächtig?
S: Es gibt kein einziges Merkmal, an dem man Lügen erkennen kann. Viele Menschen denken, dass Lügner in die Augen schauen, aber wissenschaftlichen Studien zufolge stimmt das nicht, weil Lügner wissen, dass dieses Vorurteil existiert.
Lügner ergreifen Gegenmaßnahmen, weil sich viele Dinge in der Körpersprache kontrollieren lassen. Dinge wie das Berühren der Nase oder das Trinken bei trockenem Mund werden als Zeichen für Lügen angesehen. Natürlich können Lügner diese Dinge kontrollieren und sie dann absichtlich nicht tun.
Sie können nicht kontrollieren, dass sich Ihre Pupillen erweitern. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass man lügt, sondern vor allem, dass man aufgeregt ist. Und natürlich sind auch unschuldige Menschen, die befragt werden, aufgeregt.
AM: Liefern Lügendetektoren ein zuverlässiges Ergebnis?
S: Mit der richtigen Technik, der so genannten Tatwissentechnik, gibt es eine
95-prozentige Wahrscheinlichkeit. Das bedeutet, dass man etwas fragt, was nur der Täter wissen kann. Dann gibt es einen gewissen Ausschlag im Herzschlag und Schweiß, der mit einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu sehen ist. Der Lügendetektor kann aber auch manipuliert werden. Indem man Kopfrechnen betreibt, indem man in der Zwischenzeit an etwas anderes denkt.
AM: Kann man von Pokerspielern lernen?
S: In dem Film Rounders mit Matt Damon bricht John Malkovich, wenn er ein gutes Blatt hat, einen Oreo-Keks auf und schaut sich die Füllung an. Pokerspieler verbringen viel Zeit damit, zu sehen, ob sie die Körpersprache des anderen lesen können, aber sie verlassen sich nicht darauf. „Poker Tells“ sind austauschbar. Pokerspielen ist Wahrscheinlichkeitsrechnung
"Im Moment sind zwei verschiedene Extreme zu beobachten, wie z.B. eher unkritische Interviews, z.B. Karin Miosga mit Robert Habeck."
AM: Dann gehen Sie in Ihrem Buch auch auf Verhörmodelle ein und thematisieren auch die journalistische Befragung. Im Moment fallen die Journalisten den Interviewpartnern bereits im zweiten Satz ins Wort und Chaos bricht aus.
S: Im Moment sind zwei verschiedene Extreme zu beobachten, wie z.B. eher unkritische Interviews, z.B. Karin Miosga mit Robert Habeck. Oder auch das Interview, wo der Journalist mit einer sehr harten Frage oder vielleicht sogar einer Beleidigung beginnt. Außerdem will der Journalist eine bestimmte Haltung zeigen. Bei journalistischen Interviews ist auch ein Showeffekt wichtig. Jan Fleischauer sagte in einem Interview, das er dem Spiegel gab, dass er einmal von einem Interviewten fast körperlich angegriffen wurde. Das wäre ein guter Stoff für das Fernsehen gewesen, sagte er.
Ich glaube aber, dass die einfachere Methode viel besser funktioniert. Nämlich, dass man die Leute zuerst reden lässt. Auf diese Weise erhält man die Informationen und kann dann später die schwierigen Fragen stellen.
"Man kann Verständnisfragen stellen, die zusammenfassen, was die andere Seite gesagt hat und zeigen, ob man es wirklich verstanden hat. Das ist auch eine Möglichkeit, der anderen Seite Respekt zu zollen."
AM: Welche der von Ihnen vorgestellten Methoden ist Ihr Favorit?
S: Ich denke, dass aktives Zuhören am Anfang sehr wichtig ist, also zuhören, was er zu sagen hat, und dann mit guten Fragen nachhaken. Man kann Verständnisfragen stellen, die zusammenfassen, was die andere Seite gesagt hat und zeigen, ob man es wirklich verstanden hat. Das ist auch eine Möglichkeit, der anderen Seite Respekt zu zollen.
AM: In Ihrem Buch verweisen Sie auf die Fälle Kachelmann und Gäfgen.
S: Das waren sehr gut dokumentierte Fälle in der Öffentlichkeit. In meinen Seminaren spreche ich über zudem Benko und Jan Marsalak von Wirecard.
"Aber nach dem deutschen Rechtsstaat darf Folter unter keinen Umständen angewandt werden, auch nicht unter extremen Umständen, denn die Menschenwürde steht an erster Stelle."
AM: Im tragischen Fall Gäfgen wurde mit Folter gedroht und der Polizist wurde verurteilt und verlor sogar seine Pension.
S: Er wollte Leben retten und es ist eigentlich völlig verständlich, das Leben eines Kindes retten zu wollen. Aber nach dem deutschen Rechtsstaat darf Folter unter keinen Umständen angewandt werden, auch nicht unter extremen Umständen, denn die Menschenwürde steht an erster Stelle. Im Grunde war es in Guantanamo ähnlich. Es gibt ein Buch über die Enhanced Interrogation in Guantanamo. Der Autor hatte die Folterungen selbst durchgeführt, schämte sich nicht dafür und schrieb sogar ein Buch darüber. Er erklärte, er habe viele Attentate verhindert und Tausende von Leben gerettet. Aber in Deutschland, egal unter welchen Umständen, ist Folter niemals zulässig.
"Lügen schwächt auf Dauer die eigene Position und macht alles komplizierter."
AM: Wenn Sie beruflich so viel mit Lügen zu tun haben, was ist dann Ihr moralischer Ansatz?
S: Es gibt die Behauptung, dass das Leben ohne Lügen nicht möglich wäre. Es gibt Menschen, die aus Höflichkeit viel lügen - relativ häufig. Aber es gibt auch viele Menschen, die kaum lügen. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass man, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, eigentlich nicht lügen muss. Oder dass man z.B. unangenehme Fragen nicht beantworten kann.
Inwieweit eine Welt ohne Lügen im philosophischen Sinne funktionieren könnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Was mich interessiert, ist, wie ich mehr Informationen für Verhandlungen und Gespräche bekommen und das Ganze erkennen kann. Lügen schwächt auf Dauer die eigene Position und macht alles komplizierter.
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