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Mischa Kuball, missing link_, Düsseldorf, 2023 (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2022 Foto: Achim Kukulies
Mischa Kuball:
„Meine Arbeit steht für Toleranz, Aufklärung und ein interreligiöses Zusammenleben.“
Im November 1938 wurde die Große Synagoge in der Kasernenstraße in Düsseldorf in Brand gesetzt. Allein in dieser Nacht gab es in Düsseldorf mehr als 450 Anschläge; mindestens 70 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, 13 Menschen starben während oder an den Folgen des Pogroms. Nach dem Krieg kehrten nur 57 jüdische Bürger nach Düsseldorf zurück und gründeten die Jüdische Gemeinde Düsseldorf.
Im Jahr 2023 überschlugen sich die Ereignisse. Der 7. Oktober führte zu Demonstrationen gegen Israel in der Stadt und zu zahlreichen Unterstützungserklärungen für das Bündnis mit Israel von Seiten der Stadt. So fand am 2. November ein interreligiöses Friedensgebet vor dem Düsseldorfer Rathaus statt. Erwähnenswert ist auch die Erklärung der Mahn-und Gedenkstätte, die auf ihrem Instagram-Account bekannt gab, dass sie auch der Opfer der Menschen in Gaza gedenkt.
Das bedeutendste Projekt und wohl auch das wichtigste Kunstprojekt der Stadt in diesem Jahr dürfte das Werk „missing link_“ des Düsseldorfer Künstlers Mischa Kuball sein. Der bisherige graue Gedenkstein für die Synagoge war schon lange als unzureichend empfunden worden. „missing link_“ wurde am 9. November um 22.30 Uhr an der Ecke Kasernenstraße und Siegfried-Klein-Straße eingeschaltet. Die 12 Meter hohe Lichtprojektion, die einen Teil der Großen Synagoge abbildet, wird mit reinem weißen Licht angestrahlt. Ein heller Streifen auf der Fahrbahn führt von der gegenüberliegenden Seite zur Leinwand. Könnte es Zufall sein, dass das Kunstwerk ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt errichtet wurde, oder war es nur eine kurzfristige Übergangslösung? Nein, es war schon vorher geplant, erzählt uns der Künstler im Interview. Mischa Kuball ist auch als Lichtkünstler bekannt. 1990 realisierte er das Kunstwerk "Megazeichen" an dem Mannesmann-Hochhaus in Düsseldorf, 1994 schuf er die temporäre Lichtinstallation "refraction house" in der Synagoge Stommeln. 1998 vertrat der Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Deutschland auf der 24. Biennale von São Paulo mit "private light / public light". Der richtige also, um dieses Kunstwerk zu schaffen.
„missing link_“ wird demnächst wieder abgebaut, um die temporäre Installation in ein dauerhaftes Kunstwerk zu verwandeln. In diesem Interview verrät der Künstler, wie man sich das neue „missing link_“ vorstellen kann.
15. April 2024
ART//
DÜSSELDORF/
IN FOCUS
Name: Mischa Kuball
Beruf: Künstler, Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln
Wohnort: Düsseldorf
Modell der Synagoge auf der Kasernenstraße, Düsseldorf, 2023 (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2024 Foto: David Young
AM: Herr Kuball, Sie arbeiten immer mit weißem Licht.
Mischa Kuball: Das weiße Licht ist durch mein Interesse an der Architektur zu mir gekommen. Die Lichtfarbe „meines Lichts“ ist wie Sonnenlicht, und es verstärkt das Sichtbare. Im Laufe meiner Arbeit habe ich festgestellt, dass weißes Licht bei den Menschen die stärkste Aufmerksamkeit erzeugt. Weißes Licht färbt die Menschen nicht emotional, während sie bei rotem, blauem oder grünem Licht andere Assoziationen haben.
Es war ein besonderes Erlebnis, als ich das weiße Projektionslicht verdoppelte und das Weiß dann in verschiedenen Intensitäten erschien. Die erste wichtige Ausstellung war 1987 im Folkwang Museum, 1990 folgte das Mannesmann-Hochhaus und 1994 die Synagoge in Stommeln. Jetzt, 30 Jahre später, haben diese Projekte mein Leben verändert. Plötzlich waren die Möglichkeiten und der Respekt da und führten zu neuen Projekten.
„Die Intensität und Strahlkraft wird nochmals gebündelt.“
Mischa Kuball, refraction house, Synagoge Stommeln, 1994 (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2024
Foto: Hubertus Birkner
Die Synagoge in Stommeln ist, wie die anderen Kunstwerke auch, ein temporäres Werk. Wie können Sie als Künstler damit leben?
Alle Arbeiten sind ephemer, worin ich eine Kraft sehe. Was man vorübergehend wahrnimmt, was man loslässt, was wieder verschwindet, spürt man deutlicher.
Bei permanenten Kunstwerken entwickelt sich eine Art schädliche Routine. Wenn das Kunstwerk nur für ein paar Tage oder sogar nur für ein paar Stunden da ist, sind die Menschen auch gnädiger in ihrem Verhalten. Man kann viel radikaler sein und die Intensität und Strahlkraft des Kunstwerkes bündeln.
Die Menschen setzen sich mit dem auseinander, was nicht mehr da ist - vergleichbar mit der menschlichen Erfahrung von Verlust. Der Mensch rekonstruiert die Bedeutung des Menschen, der dadurch präsenter wird.
Ihr Kunstwerk „missing link_“ war zeitgleich mit dem Ausbruch des Gaza-Krieges und den damit verbundenen Aktionen gegen den zunehmenden Antisemitismus in Düsseldorf vor Ort. War das ein Zufall oder war das Projekt bereits im Vorfeld geplant?
Ihre Frage klingt einfach, aber das ist sie nicht. Das Werk wird nach dem 7. Oktober auf die Art und Weise gelesen werden, wie die Menschen diese Dinge jetzt betrachten. Ich war im März letzten Jahres in Jerusalem, als die großen Proteste gegen die derzeitige Regierung stattfanden. Damals gab es bereits Gespräche mit dem Oberbürgermeister, der Kulturdezernentin und der jüdischen Gemeinde. Der Gedenkstein wurde als unzureichend, schmutzig und wie ein Stromkasten empfunden. Ich selbst fand ihn unwürdig. Ein Test sollte klären, ob man mit einem Kunstwerk mehr Aufmerksamkeit bewirken könnte.
Dann geschah der 7. Oktober; damit hatte niemand gerechnet. Es wurde festgestellt, dass „Kuball’s „missing link_“ eine Antwort auf das Auslöschenwollen der Hamas ist“. Wir selbst hatten das so nicht behauptet. Wir haben es jetzt mit der Realität des 7. Oktober 2023 und einem Zusammenschmelzen von Ereignissen zu tun. Das Zerstörenwollen jüdischen Lebens ist wieder lebendig geworden. Jetzt geht es nicht nur darum, auf den 85. Jahrestag der Pogrome von 1938 zurückzublicken.
„Die Prägnanz des neuen Werks im Verhältnis zu seiner Präsenz an diesem Ort im öffentlichen Raum.“
Wie ist der aktuelle Stand des Projekts? Wird das Kunstwerk wieder „missing link_“ genannt werden?
Die Politik und die Stadtgesellschaft werden spätestens Anfang Mai entscheiden, ob die Installation von einer temporären Situation in eine permanente Installation umgewandelt wird.
Wir als Atelier sind darauf vorbereitet. Das neue Kunstwerk wird minimalistisch, filigran, aus Glas und noch höher als das alte Werk sein. Der Name „missing link_“ bleibt. Die Idee ist, dass die Leute in ein Lichtfeld wie einen Grenzstreifen kommen. Ich möchte auch, dass die Autos über einen Hubel auf der Straße fahren. Die Menschen sollen emotional und physisch berührt werden, damit sie dem Verlust der Synagoge nicht entkommen. Sonst wäre das Gedenken an die Synagoge nur mental und spirituell. „missing link_“ sollte einen Zeigecharakter haben. Jetzt ist zum Beispiel die Faust zu groß, um den Stift zu halten, und ich möchte, dass der Stift im Vordergrund steht.
Das Projekt kann schnell realisiert werden, weil wir immer persönlich mit den Entscheidungsträgern arbeiten. Für „missing link_“ habe ich z. B. mit dem Oberbürgermeister, der Dezernentin für Integration und Kultur, Miriam Koch, der jüdischen Gemeinde sowie mit der 9. Klasse des Albert-Einstein-Gymnasiums zusammengearbeitet.
Mischa Kuball, missing link_, Düsseldorf, 2023 (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2022 Foto: Achim Kukulies
Mischa Kuball, missing link_, von links: Bert Römgens, Miriam Koch, Mischa Kuball, Dr. Stephan Keller, Dr. Bastian Fleermann, Düsseldorf, 2023 (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2024 Foto: David Young
In Ihrem Projekt und auch auf der Website kommen Menschen zu Wort, die ihre Überlebensgeschichten erzählen.
Auf unserer Website geht es um die Menschen, die 1956 nach Düsseldorf kamen - nicht die Überlebenden von Düsseldorf, sondern die der anderen Pogrome. Sie waren es, die die jüdische Gemeinde in Düsseldorf aufbauten. Wir haben ihre Stimmen für unser Archiv aufgenommen. Von den Überlebenden erinnere ich mich besonders an Ruth und Herbert Rubinstein. Da beide über 80 Jahre alt sind, werden diese Stimmen irgendwann verstummen und es wird schwierig sein, ihre Erlebnisse zu erzählen.
„Meine Arbeit steht für Toleranz, Aufklärung und ein interreligiöses Zusammenleben.“
Wie ist es für Sie als Künstler, wenn Ihre Arbeit und Ihre Person auf diese Weise politisiert werden?
Bei einem Treffen der jüdischen Gemeinde hörten wir die Geschichte von zwei Überlebenden aus einem Kibbuz vom 7. Oktober. Das Paar hatte sich in einem Saferoom aufgehalten und war Zeuge der Morde am Ende dieses Tages. Viele waren während des Vortrags zu Tränen gerührt und einige mussten den Raum verlassen. Es verfolgt mich bis heute, sogar im Schlaf.
Dies ist meine Antwort auf Ihre Frage. Wer sich in unserer Gesellschaft nicht zu Wort meldet, wird mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht positioniert zu haben. Ich selbst entscheide nicht mehr, ob ich politisch oder unpolitisch bin. Meine Arbeit steht für Toleranz, Aufklärung und interreligiöses Zusammenleben, ob muslimisch, jüdisch, christlich oder agnostisch. Ich setze mich für ein Zusammenleben ein, das sich davon nicht abhängig macht, welcher religiösen Idee man folgt. So naiv es auch klingt, es ist leider noch politisch.
„Für mich hingegen bedeutet Schweigen, den Tätern Raum zu geben, und das ist für mich keine Option.“
Eine Mehrheit der Menschen im Gazastreifen will nun, dass die Hamas eine wichtige politische Rolle übernimmt. Aber was bedeutet das für unsere gemeinsamen Überlegungen zum friedlichen Zusammenleben? Früher hieß es: „Das Private ist politisch", und Themen wie Gesellschaft und Sexualität wurden aus dem Privaten in die Gesellschaft projiziert und bekamen einen politischen Impuls. Heute ist das kein großes Thema mehr, weil wir eine Liberalisierung der großen gesellschaftlichen Themen haben.
Der ehemalige Vorsitzende von Pen (das PEN-Zentrum Deutschland ist eine deutsche Schriftstellervereinigung, Anm. d. Red.) hat zum Beispiel gesagt, dass er von seinem „Recht zu schweigen" Gebrauch machen würde. Schweigen heißt für mich aber, den Tätern Raum zu geben, und das ist keine Option.
In Ihrer Rede am 9. November, als „missing link_“ vorgestellt wurde, sagten Sie "Das Fremde bereichert uns".
Dass wir das Eigene nur durch das Fremde erkennen können, stammt von dem französischen Philosophen Roland Barthes. Wir können den Wert der Dinge, die uns ständig umgeben, nicht immer schätzen, weil sie Teil unserer Lebenswelt werden. Wir sind oft misstrauisch gegenüber dem Fremden. Doch gerade im Unbekannten liegt die Chance, von den Ritualen anderer Kulturen zu lernen. Nur so können wir unsere eigene Kultur reflektieren und weiterentwickeln. Genau das macht den Menschen stark.
„In vielen Büchern gibt es kleine Zettel, die im Raum schweben und von einem bestimmten Thema aufgesaugt werden."
Wir befinden uns in einer beeindruckenden Bibliothek.
In den letzten 30 Jahren hatte ich das Privileg, mit bedeutenden Philosophen und Denkern wie Alexander Kluge, Jürgen Habermas, Peter Sloterdijk, Hans Belting und Horst Bredekamp zusammenzuarbeiten. Ihre monographischen und thematischen Veröffentlichungen finden Sie unter anderem hier. Über sie kontrovers nachzudenken, inspiriert mich. Viele der Bücher haben kleine Zettel, die im Raum schweben und von einem bestimmten Thema aufgesaugt werden. So arbeite ich und entwickle dann meine Konzepte.
Trotz „missing link_“: Arbeiten Sie schon an der nächsten Ausstellung?
Es gibt eine Projektvereinbarung für die sogenannte Afrika-Konferenz von November 1884 bis Februar 1885, die in Berlin mit dem Haus Kulturen der Welt stattfinden wird. Dessen Chefkurator Bonaventure Ndikung hat den Essay "Our Neighbours" über eines meiner Projekte geschrieben und wir werden mit ihm ein Projekt im öffentlichen Raum entwickeln.
Mischa Kuball, (un)finished, Berlin, 2021 (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2024 Foto: Stefanie Heider
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