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Anke Bluemm: Es ist nicht der Ansatz unserer Ausstellung, Schuldvorwuerfe zu erheben.

Museum Neues Weimar ©Thomas Müller


Dr. Anke Blümm: “Es ist nicht der Ansatz unserer Ausstellung, Schuldvorwürfe zu erheben.“

Am 9. Mai wurde in Weimar die Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus" eröffnet. Die erste Ausstellung zu diesem komplexen Thema soll den vielfältigen Umgang von Künstler*innen mit einem totalitären Herrschaftssystem veranschaulichen. An drei Standorten in Weimar werden rund 450 Kunst- und Designobjekte aus Privatsammlungen und Museen in Europa und den USA zu sehen sein. Die Werke sollen die politische Geschichte des Bauhauses bis zu seiner Schließung 1933 und die sehr unterschiedlichen Lebenswege der Bauhaus-Mitglieder im Nationalsozialismus aufzeigen


Kuratorin Dr. Anke Blümm sagte in einem Exklusiv-Interview kurz vor der Eröffnung, dass es sich um eine Ausstellung handele, zu der schon lange der Wille und auch die Notwendigkeit bestand. Bereits 2009, als die Welt 90 Jahre Bauhaus feierte, befand man in Weimar, dass die Zeit des Nationalsozialismus zu kurz kam. Als Geburtsstadt des Bauhauses ist Weimar natürlich prädestiniert für eine solche Ausstellung, nicht zuletzt wegen der Nähe zu Buchenwald.


Die Organisatoren der Ausstellung betonen, dass es ihnen nicht um Schuldzuweisungen geht. Ihr Ziel sei es, zu zeigen, was in Weimar rund um die Bauhaus-Mitglieder*innen tatsächlich passiert ist. Einzelschicksale werden thematisiert, wie das der Keramikerin Margarete Heymann-Loebenstein. Aber auch die Geschichte des Bauhaus-Schülers Fritz Ertl, der als einer der Architekten von Auschwitz bezeichnet wird, kommt zur Sprache.

14. Mai 2024

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ART/IN FOCUS

Name: Dr. Anke Blümm

Beruf: Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin am Bauhaus-Museum der Klassik Stiftung Weimar

AM: Frau Dr. Blümm, wer kommt zur Eröffnung am 8. Mai?


Dr. Anke Blümm: Wir feiern den historischen Tag der Kapitulation mit einer großen Doppeleröffnung des Zwangsarbeitermuseums zusammen mit unserer Ausstellung. Claudia Roth wird als Rednerin erwartet, der Thüringer Ministerpräsident Herr Ramelow, die Staatskanzlei und die Stadt Weimar werden anwesend sein. Das wird ein ganz großes Ereignis für Weimar sein.


Wie ist es überhaupt zu dieser Ausstellung gekommen?


Bereits 1993 gab es eine Tagung und eine Publikation von Winfried Nerdinger mit dem Titel, „Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus : zwischen Anbiederung und Verfolgung“. Doch dies mündete nicht in eine Ausstellung. Im Nachhinein muss man sagen, dass auch bei den Jubiläumsveranstaltungen zum 90-jährigen und zum 100-jährigen Geburtstag des Bauhauses das Thema Bauhaus und Nationalsozialismus unterrepräsentiert blieb. Als dann 2009 in Berlin und New York 90 Jahre Bauhaus gefeiert wurden, stellten wir fest, dass die Zeit des Nationalsozialismus vernachlässigt wurde. Es war klar, dass etwas Größeres getan werden musste. Weimar war für eine solche Ausstellung prädestiniert: Dies war der der Gründungsort des Bauhauses. Die Nähe zum KZ Buchenwald verbindet Weimar seit jeher mit dem Nationalsozialismus.


„Natürlich ist es viel differenzierter, und offensichtlich ist die Zeit erst jetzt reif, das Thema wieder zu beleuchten."


Ihre Ausstellung will mit der Illusion brechen, das Bauhaus sei die einzige gute und verfolgte Moderne. 


Nicht der einzige, aber der gute Modernismus. Mit der ersten großen Bauhaus-Ausstellung der Nachkriegszeit 1968 wurden die 20er und 30er Jahre aufgegriffen, weil dies als positives Beispiel diente. Das Bauhaus war 1933 auf Druck der Nazis geschlossen worden, so dass man sagen konnte: „Nun können wir wieder an das Bauhaus anknüpfen". Wahrscheinlich war das damals auch ein gewisser Schutzmechanismus, um mit der Schuld des Holocaust umzugehen. Natürlich ist es viel differenzierter, und offensichtlich ist die Zeit erst jetzt reif, das Thema wieder zu beleuchten.

Irmgard Soerensen-Popitz Ihre Werbung und die Frau ©Bauhaus Dessau Foundation

„Das Land Thüringen war ein unrühmlicher Vorreiter der nationalsozialistischen Kunstpolitik."


Über 70 Werke von Künstler*innen wie Lyonel Feininger und Paul Klee wurden 1930 als „minderrassige" Kunst deklariert und aus dem Schlossmuseum in Weimar entfernt. Wurden sie zurückgegeben? 


Das Land Thüringen war ein unrühmlicher Vorreiter der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Bereits 1930 wurde die erste Landesregierung mit nationalsozialistischer Beteiligung gebildet. Der neue NSDAP-Innenminister Wilhelm Frick setzte sofort eine aggressive nationalsozialistische Kulturpolitik um. Das Bauhaus war zu diesem Zeitpunkt längst verschwunden; es war 1925 nach Dessau vertrieben worden. Im Schloss befand sich noch die Abteilung Moderne, in der sechs Räume dem 20. Jahrhundert gewidmet waren: Bauhaus-Gemälde, Zeichnungen und Gemälde der Avantgarde der 20er Jahre. Minister Frick verfügte, dass diese 70 Werke abgehängt wurden.


Weimar selbst verfügte nicht über ein großes Ankaufsbudget, und viele der Werke waren Leihgaben der Künstler*innen, die an diese zurückgegeben wurden. Die angekauften Gemälde, darunter zum Beispiel zwei Klees und ein Feininger, wurden im Depot in Weimar eingelagert. Diese Gemälde wurden noch nicht beschlagnahmt und vernichtet wie später bei der Aktion von 1937. Sie blieben als Eigentum der Sammlungen weiter erhalten. 1937 gab es dann die NS-Beschlagnahmekommission, die reichsweit systematisch die Museen durchging und die 1930 in Weimar abgehängten Werke beschlagnahmte. Die Nationalsozialisten wollten die als entartet bezeichnete Kunst nicht mehr in Deutschland haben und begannen, sie ins Ausland zu verkaufen. Die "Sterbenden Pflanzen" von Paul Klee aus unserer Ausstellung befinden sich heute im MoMA, und Feiningers "Gemeroda" ist heute im Whitney Museum in New York. 


"Es ist nicht der Ansatz unserer Ausstellung, Schuldvorwürfe zu erheben. Wir wollen die Komplexität und Widersprüche aufzeigen."


Sie haben herausgefunden, dass einige ehemalige Bauhaus-Studenten*innen später an nationalsozialistischen Propagandaausstellungen teilgenommen haben. Inwieweit geht es hier um die Verführung durch den Faschismus oder schlicht ums Überleben? Ist es gerechtfertigt, Schuldvorwürfe zu erheben? 


Es ist nicht der Ansatz unserer Ausstellung, Schuldvorwürfe zu erheben. Wir wollen die Komplexität und Widersprüche aufzeigen. Die Grafiker*innen hatten eine moderne Ausbildung - ihre Fähigkeiten wurden gebraucht, und sie konnten nicht absehen, wie sich das Regime entwickeln würde. Einige von ihnen nahmen 1934 einen Auftrag für die Ausstellung "Deutsches Volk, Deutsche Arbeit" - eine Leistungsschau der damaligen Zeit - an und steuerten die innovativsten Entwürfe bei. Wir wollten einfach zeigen, was war. Wir können zeigen, dass Propaganda-Elemente in ein modernes Design eingeflossen sind und , und zwar subtil und nicht gleich für jeden offensichtlich.


Welche Lebensgeschichte eines Bauhaus-Mitglieds hat Sie besonders beschäftigt? 


Fritz Ertl war Architekturstudent bei Hannes Meyer, der bei Mies van der Rohe ein Diplom erhalten hatte. seiner Rückkehr in seine Heimat Österreich trat er 1938 in die SS ein. Ertl war es, der den ersten Lageplan für das neue Konzentrationslager Auschwitz gezeichnet hat. Er blieb zweieinhalb Jahre in Auschwitz und arbeitete danach weiter für die SS. Es ist bekannt, dass er in den 1970er Jahren angeklagt und freigesprochen wurde. Wir würden ihn heute gerne fragen, wie er dies alles mit seiner Ausbildung vereinbaren konnte.


Mich bewegt auch das Leben der jüdischen Keramikerin Margarete Heymann-Loebenstein. Ihr Norma-Service, das sie 10 Jahre lang in ihrer florierenden Marwitzer Keramikfabrik herstellte, war sehr beliebt. Ihre Fabrik wurde 1934 weit unter Wert von Hedwig Bollhagen übernommen, die ihr Geschirr ohne Lizenzgebühren weiter produzierte. In der Ausstellung zeigen wir zwei Milchkännchen, die anschaulich machen, dass die ursprünglichen Entwürfe einfach kopiert wurden. Heymann-Loebenstein wanderte aus, konnte aber nie an ihren früheren Erfolg anknüpfen. Das Schicksal von Heymann-Loebenstein wurde 2019 in der Ausstellung „Die 4 Bauhausmädels" thematisiert. Hedwig Bollhagen hat sich bis zu ihrem Tod 2001 zu den Vorgängen nie klar geäußert.


Wenn wir von verfolgten Künstlern sprechen, können wir das auch auf die heutige Zeit beziehen?


Natürlich fragte ich mich bei meiner Ausstellung, was wäre, wenn dies heute geschieht. Nach 1933 waren alle Bauhaus-Künstler*innen in einer Zwangslage. Da sie in ihrer Kunst nicht mehr frei waren, passten sich manche mehr, manche weniger an. Ihre Werke wurden beschlagnahmt oder zerstört, aber kein Bauhaus-Künstler *in wurde nur wegen seiner Ausbildung verhaftet oder ermordet. Wenn jemand verhaftet oder ermordet wurde, dann wegen seiner jüdischen Herkunft oder wegen seiner politischen Ansichten. 

Franz Ehrlich - Design of the lettering of the Buchenwald concentration camp, 1938 ©Franz Ehrlich, community of the heirs after Franz Ehrlich

Lyonel Feininger, Gelmeroda VIII, 1921, ©VG Bild-Kunst, Bonn, 2024

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