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Conrad Felixmüller: Kind vor Hochofen (Bildnis des sechsjährigen Ludwig Wulf am Wohnzimmerfenster) © LVR-LandesMuseum, Bonn
Rechts: Ludwig Wulf ©Loos
Dr. Christoph Schmälzle: "Im Spiegel der Kunst werden viele Veränderung unserer Lebenswelt deutlich – und zugleich dokumentiert die Kunst auch zeitgebundene Perspektiven auf diese Veränderungen."
Das LVR-LandesMuseum Bonn gab kürzlich den Erwerb eines bedeutenden Gemäldes zur Industriekultur von Conrad Felixmüller bekannt. Das Gemälde „Kind vor einem Hochofen“ aus dem Jahr 1927 zeigt den Blick eines Kindes auf die „Hasper Hütte“, das ehemalige Hochofenwerk der Klöckner-Werke AG in Hagen-Haspe.
Das Gemälde ist Teil der neuen Dauerausstellung „Welt im Wandel“ im LVR-LandesMuseum Bonn. Die Sammlung des über 200 Jahre alten LVR-LandesMuseums soll mit ihren Objekten 400.000 Jahre Menschheitsgeschichte abbilden, wobei der Schwerpunkt auf der Kulturgeschichte des Rheinlandes liegt. Das „Kind vor einem Hochofen“ von Conrad Felixmüller thematisiert die Frage nach der Zukunft und dem Schauwert der Industrie und ist deshalb wertvoll für die Sammlung, sagt Dr. Christoph Schmälzle vom LVR-LandesMuseum Bonn im Interview. Wichtig sei auch sein Platz in der Weimarer Republik, als Symbol des Erfolgs inmitten einer krisengeschüttelten Verfassung.
Der Künstler Felixmüller hatte 1920 den „Sächsischen Staatspreis“ erhalten und war an Rhein und Ruhr gereist, um die Schwerindustrie und das Leben der Arbeiter zu studieren. Ihn faszinierte die Lage des bürgerlichen Hauses der Familie Wulf direkt vor den Hochöfen der Hasper Hütte, ironisch „Hasper Gold“ genannt, die unter anderem für den Wandel der Region zum industriellen Zentrum Deutschlands stand. Die Gründung der Hasper Hütte geht auf das Jahr 1829 zurück. Ein trauriges Kapitel war, als mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 Rüstungsgüter produziert und Frauen und Zwangsarbeiter, ab 1940 auch Kriegsgefangene, eingesetzt wurden. 1971 verlor die Hasper Hütte ihre Selbstständigkeit und wurde ein Zweigbetrieb der Klöckner Hütte Bremen. Der letzte Abstich fand am 29. Juli 1972 statt. Danach wurde die Produktion stillgelegt und verlagert. Im Jahr 1982 wurde die Produktion eingestellt.
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27 August 2024
ART
Name: Dr. Christoph Schmälzle
Beruf: Wissenschaftlicher Referent für Kunstgeschichte
LVR-LandesMuseum Bonn
„Kind vor Hochofen“ ist ein sehr persönliches Bild, das Felixmüller 1927 ohne Auftrag gemalt und jahrzehntelang nicht verkauft, sondern bei allen Umzügen mitgenommen und über den Krieg gerettet hat.
Conrad Felixmüller: Kind vor Hochofen (Bildnis des sechsjährigen Ludwig Wulf am Wohnzimmerfenster)
© LVR-LandesMuseum, Bonn
Warum interessierte sich das Landesmuseum gerade für dieses Werk?
Der Wandel der Kulturlandschaft ist eines der zentralen Themen der neuen Dauerausstellung „Welt im Wandel“, die das LVR-LandesMuseum Bonn im September 2023 eröffnet hat. Im Spiegel der Kunst werden viele Veränderung unserer Lebenswelt deutlich – und zugleich dokumentiert die Kunst auch zeitgebundene Perspektiven auf diese Veränderungen. Auf einzigartige Weise verbindet das Gemälde „Kind vor Hochofen“ von Conrad Felixmüller ein Kinderporträt mit einer Industriedarstellung, so dass es die Frage nach der Zukunft sowie dem Schauwert der Industrie stellt. Im Mittelpunkt des Fensterblicks stehen die Hochöfen der Hasper Hütte. Seit dem vollständigen Rückbau der Anlage in den 1980er-Jahren erinnern nur noch historische Abbildungen an diesen wichtigen Teil der westfälischen Industriegeschichte.
Im Parcours der Dauerausstellung korrespondiert Felixmüllers Gemälde mit August von Willes „Ansicht von Barmen“ von 1870, wo im Vordergrund eine Jagdgesellschaft und im Hintergrund die rauchenden Schornsteine der Industriestadt zu sehen sind.
Wie ist „Kind vor Hochofen“ in den Besitz des Museums gekommen?
„Kind vor Hochofen“ ist ein sehr persönliches Bild, das Felixmüller 1927 ohne Auftrag gemalt und jahrzehntelang nicht verkauft, sondern bei allen Umzügen mitgenommen und über den Krieg gerettet hat. Erst 1974 veräußerte er das Gemälde an Ludwig Wulf, der als Sechsjähriger für den blonden Knaben Modell gestanden hatte. Von Ludwig Wulf gelangte das Werk über eine Berliner Privatsammlung an die Kunsthandlung Senger in Bamberg, die es 2023 auf der Kunstmesse TEFAF in Maastricht zeigte. Dort haben wir es zum ersten Mal gesehen und sofort das Potential für unsere Sammlung erkannt. Bis das LVR-LandesMuseum das Gemälde im Juli 2024 erwerben und damit für ganz Nordrhein-Westfalen sichern konnte, mussten viele Fragen geklärt werden. Möglich wurde der Ankauf nur durch die großzügige finanzielle Unterstützung der NRW-Stiftung und unseres Fördervereins, der Wilhelm-Dorow-Gesellschaft, für die wir sehr dankbar sind.
Mit dem Gemälde haben wir auch fünf eigenhändige Briefe Conrad Felixmüllers aus den Jahren 1927/28 und 1973/74 übernommen, die von der Entstehung des Gemäldes in Haspe und dem Verkauf an Ludwig Wulf erzählen.
Ludwig Wulf vor seinem Gemälde ©Loos
Die Hochöfen der Hasper Hütte mit den Wohnhäusern an der Kölner Straße, um 1920, Postkarte
© LVR-LandesMuseum, Bonn
Was wissen Sie über die Entstehungsgeschichte des Werkes? Welche Absichten verfolgte der Künstler Ihrer Meinung nach?
Als Felixmüller 1920 den „Sächsischen Staatspreis“ erhielt, reiste er nicht wie üblich nach Rom, sondern an Rhein und Ruhr, um die Schwerindustrie und das Leben der Arbeiter zu studieren. Auch in den Folgejahren war er immer wieder im Westen unterwegs, um Porträtaufträge für das gehobene Bürgertum auszuführen.
1927 lebte Felixmüller für drei Wochen als Gast der Familie Wulf in Haspe. Sein Atelier schlug er direkt in der Wohnung auf, von der sich ein grandioser Blick auf die Hochöfen der Hasper Hütte bot – so wie er im Fensterbild „Kind vor Hochofen“ festgehalten ist. Zu der in dieser Zeit entstandenen Werkgruppe gehören noch zwei weitere Gemälde: die Darstellung eines Arbeiters am Hochofenabstich, die sich seit 1964 im Museum für deutsche Geschichte im (Ost-)Berliner Zeughaus befindet, und eine spektakuläre Ansicht der Hasper Hütte bei Nacht, die 1992 ins Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum gelangte.
Für Felixmüller war die Arbeit eine grundlegende Frage, die die gesamte Gesellschaft angeht. Zugleich spielen in das Kinderbild am Fenster persönliche Faktoren mit hinein: Der Künstler war fasziniert von der Nähe der bürgerlichen Wohnung zur Schwerindustrie. Er plante selbst einen Umzug in die Großstadt, lebte aber aus Rücksicht auf seine Familie auf dem Land.
"Aus heutiger Sicht fällt vor allem der schmutzige Rauch ins Auge, der als ironisch so genanntes ‚Hasper Gold’ von den Thomaskonvertern aufstieg."
Warum ist es im Zusammenhang mit der Weimarer Republik so bedeutsam?
Aus heutiger Sicht fällt vor allem der schmutzige Rauch ins Auge, der als ironisch so genanntes ‚Hasper Gold’ von den Thomaskonvertern aufstieg. Zur Entstehungszeit des Gemäldes standen andere Aspekte im Vordergrund: Dass die Wirtschaft brummt und die Schornsteine rauchen, war in der krisengeschüttelten Weimarer Republik zunächst einmal eine gute Nachricht. Früh gelangte Felixmüller zu der Überzeugung, „dass die menschliche Arbeit heilig“ sei. Hinter den Leistungen der Moderne erkannt er primär das Können und die Tatkraft der Arbeiterschaft. Seinen Bruder, der als Bergingenieur im Ruhrgebiet arbeitete, porträtierte er 1922 als Vertreter eines neuen Menschentyps, der den „gewaltigen Anstrengungen über und unter der Erde nicht hilflos unterliegt, sondern sie beherrscht“.
In diesem Sinn ist die Begegnung wohl behüteten Kindes am Fenster mit der Industrieanlage kein Widerspruch, sondern Ausdruck zukunftsgerichteter Kräfte, denen utopisches Potential innewohnt. Immer wieder wurden gerade die Bauten der Schwerindustrie als Kathedralen der Moderne bezeichnet, die zu Recht bild- und oftmals auch denkmalwürdig sind.
Was wissen Sie über die Geschichte von Ludwig Wulf?
Felixmüllers Gastgeber, Eckart Wulf, war Direktor der Oberrealschule in Haspe. Auch sein Sohn Ludwig ging in den Schuldienst. Nach längerer Tätigkeit an einer Auslandsschule in Chile ließ er sich in Meinerzhagen im Sauerland nieder. 1973 suchte er den Kontakt zu Felixmüller, der nach einer Nachkriegskarriere in der DDR wieder in West-Berlin lebte. Wulf erwarb nicht nur das Hochofenbild, das ihn als kleinen Jungen zeigt, für 6.000 Mark, sondern gab für weitere 3.000 Mark ein Porträt seiner Tochter Martina in Auftrag. Über viele Jahre blieb er stolzer Besitzer des Bildes und zeigte es 1997, siebzig Jahre nach seiner Entstehung, im Rahmen der Ausstellung „Verborgene Kunst in Kierspe und Meinerzhagen“.
Was ist der Schwerpunkt der Sammlung des LVR-LandesMuseums?
Das LVR-LandesMuseum Bonn zeigt Schätze der Archäologie, Kunst- und Kulturgeschichte aus über 400.000 Jahren. Es ist das einzige kulturgeschichtliche Museum im Rheinland und blickt auf eine über 200jähige Geschichte zurück. Schon im Foyer ist der weltberühmte Neanderthaler zu sehen. Die erste Etage mit den Funden zur Eiszeit, zu den Kelten, Römern und Franken wird momentan umgebaut. In der zweiten Etage zeigen wir die Kunstgeschichte des Rheinlandes vom Mittelalter bis heute. Das „Kind vor Hochofen“ hängt seit Ende Juli als ein Highlight im Raum zur Kunst der Weimarer Republik, in direkter Nachbarschaft zu Werken von Leo Breuer, Barthel Gilles, Franz M. Jansen und Heinrich Maria Davringhausen.
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